Wir bipolaren Menschenaffen

Warum hat ausgerechnet die deutsche Bevölkerung mit ihren besonderen geschichtlichen Erfahrungen in der Corona-Krise umfassende Freiheitseinschränkungen, Selbstschädigung und Ausgrenzung einer Minderheit widerspruchslos hingenommen und aktiv unterstützt? Während psychologische Theorien die Ursachen eher in den belastenden Lebensbedingungen unserer Gesellschaft vermuten, behauptet die Evolutionsbiologie, dass die Bereitschaft zur kollektiven Feindseligkeit ebenso zum naturgeschichtlichen Erbe des Menschen gehört wie seine hochentwickelten sozialen Fähigkeiten.

JULIA WEISS, 20. April 2023, PDF

„Der Verdacht, dass Vorprogrammierungen menschliches Verhalten mitbestimmen, liegt nahe, zeigt er doch in seinem Sozialverhalten allen Erfahrungen der Geschichte zum Trotz eine oft erstaunliche Unbelehrbarkeit.“ So beschrieb der Verhaltensforscher Irenäus Eibel-Eibesfeldt in den 70er Jahren gelassen das Phänomen, dessen Zeitzeugen wir heute sind. (1) 2020 rief die deutsche Regierung zusammen mit den meisten anderen Regierungen der Welt eine Pandemie aus, woraufhin ein erheblicher Teil der Bevölkerung massive Angriffe auf grundlegende Persönlichkeitsrechte, die Schädigung elementarer Sozialstrukturen sowie die Ausgrenzung und Hetze gegen nichtkonforme Mitbürger widerspruchslos akzeptierte und auch selber praktizierte.

Die Hetze zielte auf die Spaltung der Gesellschaft und war darin schnell erfolgreich: Beschimpfungen wie „Aasgeier der Pandemie“ (Ministerpräsident Wolfgang Kretschmann),
„Sozialschädlinge“ (FDP-Politiker Rainer Stinner) oder „Bekloppte“ (Altbundespräsident Joachim Gauck) gingen glatt durch, und die von den Spitzenkräften aus Politik und Medien bevorzugten Abwertungen und Lächerlichmachungen – „Verschwörungstheoretiker“, „Querdenker“, „Rechtsextreme“, „Schwurbler“ – wurden penetrant wiederholt, bis sie als Ausgrenzungs-Stereotype und Abwehrzaubersprüche gegen regierungskritische Meinungen fest im aktiven Wortschatz der Bevölkerung verankert waren. ZDF–Komikerin Sarah Bosetti schlug vor, die Ungeimpften wie einen Blinddarm aus dem gesellschaftlichen „Gesamtkomplex“ zu entfernen, und auch ZEIT-Redakteur Christian Vooren wollte eine entschlossene Amputation vornehmen: „Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Richtig und tief eingeschlagen, trennt er den gefährlichen vom gefährdeten Teil der Gesellschaft.“ Man sieht es vor sich.

Stinners „Sozialschädling“ ist nur eine kleine Mutation vom „Volksschädling“ der NS-Zeit entfernt, in der sich herabwürdigende Tiervergleiche überhaupt großer Beliebtheit erfreuten. Auch die Idee, kranke Körperteile aus dem „Gesamtkomplex“ zu entfernen, ist offensichtlich verwandt mit der Metapher vom Volkskörper, der sich von seinen kranken Teilen trennen muss, um zu gesunden.

Böser Ungeimpfter, böser Russe

Ebenso erfolgreich ist in Deutschland das Corona-Nachfolge-Narrativ „Böser Russe“. Das Bauerntheater, das dem Volk geboten wird und in dem viele voller Gefühl mitspielen, ist im Falle des bösen Virus und des bösen Putin genau das gleiche: „Große Gefahr! Hinterhältiger Gegner! Keine Diskussion! Bitte mal alle fest an einem Strang ziehen! Kampf den Dissidenten! Opfer bringen für den Sieg!“ Wer anders denkt, ist asozial und darf hemmungslos beschimpft werden. Auch hier ist das Element der Selbstschädigungsbereitschaft gut zu beobachten: „Ich friere gern für die Ukraine!“ Ich lasse mir gern mein Land, meinen Wohlstand, meine Sicherheit, mein ruhiges kleines Leben ruinieren und mich, meine Familie, meine Freunde, ganz Europa in akute Lebensgefahr stürzen – Hauptsache, ich bin auf der Seite der Gerechten.

Der äußere und der innere Feind

Das Narrativ zur inneren Spaltung der Gesellschaft ist ein Zwilling der klassischen Kriegspropaganda: „Wir sind die Guten, die anderen die Bösen“. Es handelt sich dabei ja de facto auch in Friedenszeiten um eine Kriegserklärung gegen die als Feind Markierten. Der Unterschied ist nur, dass der Feind sich im ersten Fall im Ausland befindet, im zweiten im eigenen Land. Man ist geneigt, von Unterwerfungsbereitschaft und vom Radfahrersyndrom zu sprechen – vermutlich fühlen sich die Mitmachenden aber gar nicht unterworfen, sondern als Genossen im Kampf um die gerechte Sache.

Ausgerechnet die Deutschen

Warum merken so viele, vor allem ältere Deutsche nicht, dass dieses Ausgrenzen, Hetzen, Herabwürdigen Mustern entspricht, die sie selbst der Generation ihrer Eltern so heftig vorgeworfen haben? Diese Bevölkerungsgruppe, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland geboren und zur Schule gegangen ist, hat im Geschichtsunterricht die Warnung „Das darf nie wieder passieren“ eingeschärft bekommen wie nichts sonst, und sie ist mit kollektivem Schuldbewusstsein durchs Leben gegangen. Doch die Ähnlichkeiten werden partout nicht gesehen.

Ist die „dünne Decke der Zivilisation“ gerissen?

„Ich glaube, es ist eine traurige Wahrheit, dass wir unserem Affenzustand noch sehr nahe sind und dass die Zivilisation nur eine sehr dünne Decke ist, die sehr schnell abblättert.“ erklärte sich der Frankfurter Staatsanwalt und Nazi-Ankläger Fritz Bauer das Phänomen des deutschen Faschismus. Ist es die „Zivilisation“, die Erziehung zum guten Benehmen, zum moralischen Verhalten, die uns vor dem Durchbruch unserer wilden, bösen Tiernatur schützt? Oder eben auch nicht, weil unser erlerntes und immer nur mühsam eingehaltenes Benehmen im Zweifel so machtlos ist gegenüber unserer bestialischen Natur, unserem „Affenzustand“?

(….)

Sind wir Zeugen einer Massenpsychose?

Für Mattias Desmet, Professor für Klinische Psychologie in Gent und Totalitarismus-Experte, liegt der Ursprung des Unterwerfungs-Aggressions-Gespanns in einer Art kollektiver Psychose: Weil eine beträchtliche Zahl von Menschen sich einsam fühlt und zu wenig Sinn im Leben erkennt, entstehen Ängste und Aggressionen, die von der Politik und Massenmedien mithilfe bestimmter Narrative kanalisiert und ausgenutzt werden.

Gemeinsam ist diesen psychologischen Erklärungen, dass sie die beobachteten Phänomene als eine Art Krankheit sehen: Die Gesellschaft befindet sich nicht in einem gesunden Normalzustand, weil zu viele ihrer Individuen seelischen Mangel leiden.

Selbstschutz durch Abspaltung?

Mit einem nicht in der Kindheit, sondern durch die gegenwärtige Politik erzeugten kollektiven Trauma erklärt die französische Psychologin und Totalitarismus-Spezialistin Ariane Bilheran den Gehorsam, das Übersehen krasser Inkonsistenzen im Narrativ und die Abwehr alternativer Informationen in der Bevölkerung. Für sie haben die plötzlich einsetzenden Pandemie-Maßnahmen einen kollektiven Schock ausgelöst: Vor allem die Länder des reichen Nordens würden oft in dem naiven Glauben leben, dass ihre Regierungen es gut mit ihnen meinen. Die Tatsache, dass diese Regierungen sie plötzlich mit struktureller Gewalt überziehen, kommt so unerwartet, dass diese Realität genau wie bei einem individuellen traumatischen Erlebnis „abgespalten“ und ins Unterbewusstsein abgeschoben wird. Umso radikaler und aggressiver muss das Narrativ – die totalitäre Fiktion – verteidigt werden. (2)

Alle diese Theorien tragen zum Verständnis verschiedenster Aspekte der betrachteten Vorgänge bei. Aber außer in der Theorie von Ariane Bilheran bleiben zwei Auffälligkeiten unerklärt: Das eine ist die Blitzartigkeit, mit der Unterwerfung und Feindseligkeit einsetzten – als wäre die Bevölkerung von einem Riesenmagneten abrupt in Reih’ und Glied gebracht worden –, und das andere das eiserne Festhalten am Freund-Feind-Schema – als wäre dieser psychische Zustand eine tolles Erlebnis, das man sich auf keinen Fall madig machen lassen möchte.

Ist die Propaganda schuld?

Offensichtlich hat die gezielte und einheitliche Beeinflussung der Medien und ihrer Konsumenten durch US-Think-Tanks und das US-Militär (3) in der westlichen Welt ungeheure Ausmaße angenommen. Die Spaltung der Gesellschaft in die Guten und die Bösen war und ist eins der wichtigsten Ziele dieser Propaganda. Warum das aber in der breiten Bevölkerung auf so enorm fruchtbaren Boden fällt, kann auch die gekonnteste Propaganda allein nicht erklären. Propaganda ist die Kunst, geschickt auf der Klaviatur der menschlichen Gefühle zu spielen. Aber sie ist nicht das Klavier; sie ist nur der virtuose Pianist.

Dieser Pianist, das ist die hier verfolgte These, hat geplant und gekonnt ein Verhalten in der Bevölkerung hervorgerufen, das zu unserer biologischen Grundausstattung gehört. Mittels ausgefeilter Manipulationstechniken wurde ein ererbtes Kampf-Programm aktiviert, das stark genug ist, um unsere biologisch ebenso tief verankerte Neigung zur friedlichen Kooperation außer Kraft zu setzen – oder besser: auf den eigentlichen Angreifer umzuleiten….

weiterlesen bei Multipolar:

https://multipolar-magazin.de/artikel/wir-bipolaren-menschenaffen

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2 Kommentare zu „Wir bipolaren Menschenaffen

  1. AXEL KLEIN, 23. April 2023, 08:50 UHR

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    .

    Sehr geehrte Frau Weiss, liebe Kommentatoren,

    der Kabarettist Mathias Beltz verkürzte die Erkenntnissuche um des Menschen Charakter auf „Was ist der Mensch? Wo will er hin, wo kommt er her? Und warum ist er nicht da geblieben?“

    Damit will ich das redliche Bemühen nicht lächerlich machen, aber um einen Perspektivwechsel bitten: Konzentrieren wir uns nicht auf die Eigenschaften, die immer wieder zu bösartigem Verhalten der verführten Mehrheit geführt haben, sondern versuchen wir herauszufinden, welche charakterlichen Faktoren das Verhalten der in unterschiedlichem Grade Widerständigen bedingte. Diese Faktoren müssen wir zu Tradition werden lassen.

    Das war auch die Herangehensweise des Psychologen Georg Lind, der nach eigener Auskunft seine Forschung mit der Frage begann, warum bei Milgrams Experimenten eine Minderheit nicht verführbar war. Die Wiederkehr der Problematik zeigt uns doch, dass in Deutschland nach den Erfahrungen der 1000 Jahre zwischen 1933 und 1945 die falschen Korrekturversuche unternommen wurden.

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  2. RALLE, 23. April 2023, 19:40 UHR

    Ich kann nicht beurteilen, ob genetische Besonderheiten verantwortlich für das Verhalten der Mehrheit in der Plandemie noch in der Ukrainekrise sind. Auch das Alter der Betroffenen halte ich nicht für relevant für diese Massenpsychose, in der wir leben. Der (für mich eindeutige) Verursacher dieses Phänomens sind die Massenmedien und ihre Glaubwürdigkeit. Dieser Glauben an die sogenannte 4. Gewalt, dieses (nicht begründete) Vertrauen in die Redlichkeit, dass macht aus uns „Befehlsempfänger“ unserer Regierung. Erst wenn es für „Otto Normalo“ ohne Mühe offensichtlich wird, dass die Tagesschau lügt, wird er anfangen zu denken und zu hinterfragen, vorher nicht.

    Am Ende der DDR war für „Otto Normalo“ ohne Mühe erkennbar, dass die Medien lügen. Dazu musste er nicht mal im Einzugsbereich von ARD und ZDF wohnen. Wenn damals die aktuelle Kamera im Fernsehen von den großen Erfolgen in der Produktion berichtete, die Zeitungen (wortgleich) über die 120%ige Übererfüllung des Produktionsplans berichteten, gleichzeitig die Geschäfte immer leerer wurden, die Gebäude verfielen und manches Ersatzteil für den Trabi nur für D-Mark unter der Hand zu haben war, war Otto Normalo klar, dass er verarscht wurde.

    Habe vor kurzem mit einem jungen Mann über die Ukraine gesprochen, versucht ihm klar zu machen, dass die Wirklichkeit dort nichts mit der Propaganda im ÖRR zu tun hat, ohne Erfolg. Sein Argument: „Die Medien sagen, dass Putin ein böser Aggressor ist, Selensky kämpft (auch für uns) für die Freiheit. Der angeblich seit 2014 laufende Krieg der Ukraine gegen die eigene russische Zivilbevölkerung ist nichts als russische Propaganda.“ Meine Frage, welche Medien das behaupten, wurde mit N-TV und Welt beantwortet (ÖRR glaubt er auch nicht mehr). Otto Normalo macht sich nicht die Mühe, Multipolar oder die NDS zu lesen, er glaubt den MSM, weil es ja angeblich so viele sind. Hierbei merkt er nicht, wie wenige Menschen diese Medien in der Hand behalten.

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