Nudging: Zur psychologischen Steuerung in der Corona-Krise

Psychologische Steuerungswerkzeuge dringen seit vielen Jahren in immer mehr Bereiche der Gesellschaft ein. In der Corona-Krise erlebte dieser Bereich der sogenannten „Soft Power“ nochmals einen rasanten Aufschwung. Psychologen wie unter anderem die Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch spielen dabei eine wichtige Rolle. Die umstrittenen Methoden funktionieren deshalb so gut, weil ihr Einfluss oft gar nicht bemerkt wird.JONAS TÖGEL, 3. April 2023, 1 Kommentar, PDF

Als Vorbote für die immer zentralere Rolle der Psychologie kann das Planspiel „Event 201“ angesehen werden. Darin wurde im Oktober 2019, kurz vor dem Auftauchen von SARS-CoV-2, auf internationaler Ebene das Verhalten sowie die Maßnahmen von Regierungen und weiteren Akteuren während einer Coronavirus-Pandemie geprobt. Neben Vertretern aus der Politik, der Gesundheitsvorsorge sowie der Geheimdienste war auch die größte Werbeagentur der Welt, Edelman, involviert. Als die Krise kurz darauf ausbrach, wurden viele Psychologen tätig, um etwa die Akzeptanz der Maßnahmen oder später die Impfbereitschaft zu fördern.

Oft geschah dies weitgehend unbemerkt, was für psychologische Einflusskampagnen üblich ist, denn wenn man offen über sie spricht, verlieren sie einen Teil ihrer Wirkung. Die meisten Menschen sind sich daher bis heute nicht im Klaren über den gezielten Einsatz psychologischer Steuerung. Umso wichtiger ist eine Aufklärung über diese Einflusstechniken, deren erklärtes Ziel es ist, die Gedanken, Gefühle und das Handeln der Bürger zu lenken.

„Unmerkliche Steuerung“

Die psychologischen „Waffen der Einflussnahme“, (1) die während der Lockdowns verstärkt ergriffen wurden, fußen auf sogenannter Soft Power. (2) Mit Soft Power werden laut Lehrbuch „Einflussstrategien [bezeichnet], die üblicherweise als anstößig gelten und Formen der Manipulation darstellen. Solche Einflusstechniken können auch deshalb besonders wirksam sein, weil die unmerkliche Steuerung des Verhaltens keine Reaktanz erzeugt.“ (3) Mit Reaktanz ist gemeint, dass der Einfluss keinen Widerstand hervorruft, denn er wird, anders als zum Beispiel bei Hard Power oder Gewalt, nicht als solcher wahrgenommen.

Diese Techniken fußen auf psychologischer Forschung und sie werden in immer mehr Bereichen der Gesellschaft eingesetzt: in der Werbung, der Verhaltensökonomie, der Propaganda, der kognitiven Kriegsführung oder dem seit 2015 offiziell in Deutschland eingesetzten „Nudging“. Damit ist gemeint, dass – durch den Einsatz von Soft Power-Techniken – die Politik oder private Institutionen kleine, unmerkliche psychologische „Schubser“ geben, welche die Menschen in die gewünschte Richtung lenken sollen.

Während Corona war dies zum Beispiel die Aussage, dass Lockdowns nun die „neue Normalität“ (new normal) seien. Ein anderer Themenbereich ist die Impfbereitschaft: um diese zu steigern wurden kleine Vergünstigungen wie ein kostenloser Snack als Belohnung gewährt. Solche kleinen „Schubser“ sind meist nicht zufällig, sondern ihre Wirkung wird erforscht, bevor sie als psychologische Steuerungstechniken eingesetzt werden.

Was das „Richtige“ ist, wurde während der Coronakrise durch Regierungen oder die WHO vorgegeben. Es ging bei der psychologischen Steuerung somit um keine sachliche Debatte über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen oder der Impfung (genauso wenig wie es beispielsweise bei der Kriegspropaganda darum geht, Gewalt kritisch zu hinterfragen). Die Stoßrichtung wurde vielmehr in enger Abstimmung mit den politischen Maßnahmen und den Vorgaben der WHO und der Regierungen festgelegt.

Beispiele für psychologische Manipulation in der Corona-Krise

Ein Konzeptpapier des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (kurz bdp) in Zusammenschluss mit drei weiteren psychologisch-psychotherapeutischen Berufsverbänden vom Juni 2020 interpretierte die Rolle der Psychologie so, dass die Psychologen aufgefordert wurden, ihr Wissen über die menschliche Psyche und die „Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Motivation und Informationsverarbeitung“ zu nutzen, um die Akzeptanz beispielsweise für Lockdowns unter der Bevölkerung zu steigern.

Nicht alle Psychologen waren mit diesem Kurs einverstanden: „Dieses Papier hat viele Psychologinnen, Psychotherapeuten und Psychologen entsetzt“, kommentierte die Psychologin Andrea Wolf-Schuler im Dezember 2020. Ebenso empört waren viele über ein geleaktes, internes Regierungsdokument mit dem Titel „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“ vom April 2020. Es enthielt unter anderem die Empfehlung, Kindern gezielt Angst zu machen, weshalb es auch als „Panikpapier“ bezeichnet wird. In ihm findet sich zum Beispiel folgender Ratschlag zur Angsterzeugung bei Kindern:

„Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden“: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“

Solche Ausführungen erinnern an die schon länger bekannte Überlegung, in der sogenannten „Furchtappellforschung“ Angst im Gesundheitswesen gezielt hervorzurufen, um bestimmte Gedanken, Gefühle und Verhalten auszulösen. (4) Die Autoren solcher Sätze waren offenbar Wissenschaftler, denn wie die ‚Welt‘ recherchierte, hatte der Staatssekretär im Innenministerium Markus Kerber ausgesuchte Forscher mit der Bitte angeschrieben, ein Modell zu erarbeiten, auf dessen Basis „Maßnahmen präventiver und repressiver Natur“ geplant werden könnten.

Ob die gezielten Angstappelle an Kinder und Jugendliche zu den zunehmenden psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen beigetragen haben, ist nicht belegt, fest steht jedoch, dass sich „Ängste und Depressionen während der Pandemie in der jungen Generation verdoppelt“ haben, wie die Süddeutsche Zeitung im August 2021 erklärte. Auf das „Panikpapier“ ging die Zeitung dabei allerdings nicht ein…

mehr dazu:

https://multipolar-magazin.de/artikel/nudging-psychologische-steuerung

Ein Kommentar zu “Nudging: Zur psychologischen Steuerung in der Corona-Krise

  1. „Ob die gezielten Angstappelle an Kinder und Jugendliche zu den zunehmenden psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen beigetragen haben, ist nicht belegt, fest steht jedoch, dass sich „Ängste und Depressionen während der Pandemie in der jungen Generation verdoppelt“ haben,…

    Die Pandemie ist mit allem Grundguten nicht wegzudenken.

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