Wenn ich einmal gehen muss – Ein Rück- und Ausblick auf mein Leben

Von Tom J. Wellbrock

In jungen Jahren dachte ich, ich könne die Welt durch meine pure Willenskraft verändern. Und durch Liebe und Musik. Heute weiß ich, dass die Welt sich ohne mich verändert hat – und hadere mit meiner Willenskraft. Aufgeben ist aber keine Option.

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Ernüchterung

Wir schreiben das Jahr 2023, es hat gerade begonnen. An meine Jugend habe ich lange nicht mehr intensiv gedacht. Erst jetzt, mit dem Entstehen dieses Textes, kommen viele Erinnerungen wieder. Aber sie werden überlagert von einer Gegenwart, die mich verstört, die Angst macht, die sich in einem Land abspielt, in dem ich zu dem geworden bin, was mich ausmacht. Als ich damals auf Friedensdemonstrationen gegangen bin, hatte ich Freude und Spaß. Die Angst vor einem Atomkrieg wurde überdeckt von den großartigen Freunden, die ich hatte. Womöglich hatte ich diese Angst nicht einmal, womöglich war sie Teil einer Jugend, die politisch geprägt war. Wollte man damals politisch sein, gehörten Friedensdemonstrationen einfach dazu.

Die Leute, die ich heute sehe, die ungefähr so alt sind wie ich damals war, sie haben wirklich Angst, zuweilen sogar Todesangst. Ich hörte zwei Aktivistinnen von „Die Letzte Generation“, die ganz offen sagten, dass sie ihre Ausbildung bzw. ihren Beruf hingeschmissen haben, weil in einem halben Jahr – dank der unfähigen Politiker, die die Hilfeleistung unterlassen – ohnehin alles vorbei sei.

Das ist schrecklich. Sie nerven mich, diese jungen Hüpfer mit ihrem grenzenlosen Egoismus. Und doch weiß ich, dass ich in ihrem Alter auch nicht gerade selbstlos war, sondern immer darauf aus, das geilste Erlebnis zu haben, das möglich ist. Dafür geht man über „Leichen“, interessiert sich nicht für die Bedürfnisse anderer. Egoismus ist ein Wesenszug der Adoleszenz. Und wenn die Pubertät hinzukommt und ihre Stimmungsschwankungen als Priorität Nummer 1 in den Raum stellt, ist man als Jugendlicher sowieso verloren.

Aber Todesangst? Was ist da passiert? Was ist mit dieser Jugend angestellt worden, dass sie der festen Überzeugung ist, in ein paar Monaten oder Jahren nicht mehr da zu sein, weil der Klimawandel sie über die sprichwörtliche Klippe springen ließ? Ich würde ihnen wünschen, das Schöne der Jugend zu sehen, es zu genießen. Das schließt ja nicht aus, sich auf Straßen und Flughäfen festzukleben, egal, ob mir das gefällt oder nicht. Ich muss und kann mit diesen Aktionen gut leben. Die Frage ist eher, ob sie, die Jugendlichen mit Todesangst, das auch können.

Wohin wird es gehen?

Das, was meine Jugend ausgemacht hat, war wohl die Demokratie. Vielleicht beschönige ich das im Nachhinein – wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, neigt man zur Verklärung. Aber es war ok, so wie es war. Ich bin mit Hildebrandt und Hüsch aufgewachsen, mit Polt, aber auch mit Loriot. Sie pflegten einen Humor, der liebevoll war, oder auch bissig und provozierend. Hildebrandt war selbst kurz nach „9/11“ kritisch genug, nicht in das Betroffenheitswehklagen einzustimmen und fragte stattdessen in einer seiner Sendungen, was der Westen und die USA mit diesem Wahnsinn zu tun hatten. Das war gerade mal zwei Wochen nach dem Attentat.

Heute empfinde ich mein Leben nicht mehr als Leben in einer Demokratie. Ich weiß nicht genau, wann es losging (die Idealisierung, Sie wissen schon). Aber spätestens mit dem Beginn der Corona-Episode wurde hierzulande eine andere Sprache gesprochen. Eine Sprache, die keine demokratischen Züge hat, sondern etwas anderes, Gefährliches. Sie setzte sich fort mit dem Beginn des aktuellen Ukraine-Krieges, sie wurde immer aggressiver und kompromissloser. „Krieg ist Frieden“ – das hatte ich in Jugendjahren in „1984“ von George Orwell gelesen. Heute höre ich es von Bildschirmen auf mich eindreschen, lese es in Schlagzeilen und bin fassungslos, was für Kriegshetzer einen gemütlichen Platz in einem warmen TV-Studio bekommen, um ihre Eskalation als Friedensinitiative auszugeben.

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Inzwischen fühle ich mich nicht mehr sicher. Ich gehöre zu diesen Wenigen, und ich weiß, dass die Vielen mit ihrer Lust auf Aas nur darauf warten, dass ich wehrlos bin, sodass sie sich über mich hermachen können. Dieses Land mit seinen politischen Führern hat die Menschen auf den Weg des Hasses und der Missgunst gebracht. Vielleicht lag es an der zeitlichen Nähe zum Krieg, dass Politiker wie Willy Brandt den Wunsch verspürten, ein Volk der guten Nachbarn zu sein. Es war aber die Nähe zu einem vergangenen Krieg, der noch immer emotionale Eindrücke hinterließ. Heute ist es der Krieg, der in einer nahen Zukunft liegt, der die verantwortlichen Politiker zu bewegen scheint.

Wichtiger als der Wunsch, nie wieder so etwas zu erleben, scheint das absurde Bedürfnis, diesmal alles „richtig“ zu machen und am Ende als Sieger vom Schlachtfeld zu gehen. Wer sich diesem suizidalen Wahnsinn nicht anschließt, ist Kriegsopfer, bevor eine einzige Rakete Berlin getroffen hat. Er wird Opfer des Informations- und Medienkriegs, dessen Generäle Anzüge tragen und in Mikrofone lächeln, während sie Lügen aussprechen und längst begonnen haben, auf alles zu „schießen“, was sich ihnen nicht anschließt.

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Erklärung

Dieser Text ist kein Abschiedstext! Er ist das Gegenteil, er ist ein Willkommensgruß an alle, die nach einem besseren, friedlicheren und gerechteren Leben streben. Die Gedanken, die ich hier formuliert habe, kennzeichnen weder Lebensmüdigkeit noch entstehen sie auf der Grundlage gepackter Koffer. Das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte, dass wir mehr werden. Dass die, die den Frieden wollen und ein gerechtes Leben, sich zusammentun. Der verklärende Blick zurück auf die eigene Jugend kann Kräfte freisetzen, die man verloren glaubte. Aber es gibt auch einen verklärenden Blick in die Zukunft. Er kann ebenfalls Kräfte erzeugen, Mut und Zuversicht.

Es ist der Kampf gegen die gewollten Krisen, der uns aus ihnen befreien kann. Echte Krisen, gemachte Krisen, in den Köpfen und Herzen konstruierte Krisen sind Mittel, um Menschen kleinzuhalten, sie zu schwächen und ihren Optimismus einem Ziel zu opfern. Nämlich dem Ziel, sie zu manipulieren und ohnmächtig zurückzulassen.

Wenn wir einmal gehen müssen, kommt davor die Ohnmacht. Doch bis dahin haben wir noch Zeit und die Möglichkeiten, uns ihr nicht zu ergeben.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Moderator und Mitherausgeber des Blogs „neulandrebellen„.

weiterlesen hier:

https://rtde.website/meinung/158895-wenn-ich-einmal-gehen-muss/

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