02. Oktober 2022 Philipp Fess
Widerstand gegen Machtmissbrauch war einer der Motoren des Rechtsstaats. Doch inzwischen wird in guten und schlechten Protest unterschieden. Ein Essay über die Gründe und Folgen.
Durch die Energiekrise droht ein „Heißer Herbst“ der Proteste. Doch Vorsicht: Schon wer gegen die inzwischen vielfach umstrittenen – und doch weiterhin verfügbaren – Corona-Maßnahmen der Regierung protestierte, galt als (rechts-)radikal oder konnte sich einer „Delegitimierung des Staates“ schuldig machen. Dabei wurden einige der wichtigsten Bürgerrechte durch zivilen Ungehorsam gegenüber staatlich legitimierter Ungerechtigkeit erstritten. Das Problem: Wer sagt (noch), was legitim ist?
Es ist zu hoffen, dass wenigstens künftige Historiker den Kopf darüber schütteln werden, dass sich die (radikale) politische Linke Deutschlands im einen Fall, nämlich 1968, durch den Protest gegen autoritäre Notstandsgesetze konsolidiert hat, und im anderen, in der Corona-Krise, durch deren Verteidigung.
Vielleicht werden die Geschichtsschreiber aber auch nur die Schultern zucken und folgern, dass die Linke in den frühen 2020ern eben erneut den Kampf mit ihrem größten Feind ausgetragen hat: Und das sind nicht die Rechten, wie es dem manichäischen Weltbild der Vulgärlinken entspricht – es ist die Selbstdemontage.
Monty Python waren wahrhaft Meister des schwarzen Humors: Das Lachen über die Kabbeleien der „Judäischen Volksfront“ in Das Leben des Brian bleibt einem heute unangenehmer denn je im Hals stecken. Langsam zu vergehen scheint es auch dem ehemaligen „Volksfront“-Mitglied John Cleese.
Denn der mittlerweile 83-Jährige warnt heute gewissermaßen vor den Geistern, die er rief: den freiheitsfeindlichen Ergüssen der woken Identitätspolitik. Und nichts erstickt eben auch die größte Protestbewegung so gut im Keim wie interne Differenzen.
Protest von der „falschen Seite“
Für die heutige identitäre Linke – in ihrer apolitischen Substanz unverkennbares Spiegelbild des Rechtspopulismus – sind Themen, die von Rechten besetzt werden, rechte Themen. Wenn die AfD gegen die Impfpflicht wettert, ist die Impfpflicht links, ergo: gut. Und wer gegen die Impfpflicht ist, unterstützt die AfD. Die ZDF-Sendung Die Anstalt hat das – vor langer Zeit – in einem Sketch einmal auf den Punkt gebracht: „Und wenn die AfD sagt, dass die Anstalt eine gute Kabarett-Sendung ist?“, fragt Marion Bach darin. „Dann würde ich dem entschieden widersprechen“, entgegnet Claus von Wagner. Natürlich sind das Zuspitzungen.
Und doch ist es in nuce diese Mentalität, die in der Corona-Krise nicht nur von angeblich linken und sozialdemokratischen Wortführern wie der taz und vorwärts, sondern auch in den Leitmedien verbreitet und zu Überzeugungen geronnen ist wie: „Wer mit Rechtsextremen marschiert (!), ist selbst rechtsextrem“.
Deshalb war das linke, antifaschistische Lager womöglich auch so erschreckend still gegenüber dem schwersten Grundrechtsentzug seit Bestehen der Bundesrepublik – oder verteidigte die Maßnahmen sogar mit blindem missionarischen Eifer, frei nach dem (medial multiplizierten) Motto: „Impfen ist Nächstenliebe“.
In diesem Klima konnte eine denkwürdige Aussage wie die von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) prächtig gedeihen, wonach man seine Meinung doch auch kundtun könne, ohne sich gleich (grundrechtskonform) versammeln zu müssen.
Diejenigen, die besonders viel Angst hatten, auf der falschen Seite zu stehen, gingen also nicht auf die Straße, selbst wenn sie die Kritik der Demonstranten teilten – die sich vielfach als gerechtfertigt erweisen sollte. So viel zu Corona. In der Energiekrise liegen die Dinge aber anders – und doch auffallend ähnlich…..
mehr dazu bei:
https://www.heise.de/tp/features/Deutsche-Protestkultur-Konformer-Ungehorsam-7280816.html
Zitat:
Demokratische Protestkultur darf ruhig laut, bund & chaotisch sein
Die Diskreditierung möglicher (deutscher) Herbst-Proteste – mit Verweis auf die Querdenker-Szene – ist eine Farce und ein Schlag ins Gesicht der einfachen Menschen!
Die Logik: Die hart arbeitenden & steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger haben nur zu funktionieren und in einer Art vorauseilenden Gehorsam – und im Sinne der Herrschenden – gefälligst auf die Ausübung ihrer Grund & Freiheitsrechte, im Sinne des sozialen Friedens, zu verzichten. Diesbezüglich warnten bereits Bundesinneministerin Nancy Faeser und BfV-Präsi Thomas Handenwang die Bürgerinnen und Bürger mehrfach.
Die einfachen Menschen haben hierzulande allen Grund auf die Straße zu gehen und ihren Protest gegen die massiv gestiegene Lebenshaltungskosten (in diesem Wirtschaftsystem) zum Ausdruck zu bringen.
Vor allem Arbeitnehmerinnen & Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich und Familien mit Kindern – bis in die Mittelschicht hinein – leiden enorm unter den steigenden Lebens-/ Daseinskosten (Wohnungsmieten, Mietnebenkosten Heizung & Energie, Konsumgüter) hierzulande.
Die Reallöhne und -einkommen kommen mit den gestiegenen Preisen für Konsumgüter und Wohnkosten derzeit nicht mit, so dass – falls dieser Trend nicht gestopp (Lohn-/ Gehaltserhöhungen wären eine Massnahme) wird – der soziale Frieden in Gefahr ist; gerade in deutschen Ballungsgebieten, mit relativ hohen Wohnkosten, werden die Menschen zunehmend nervöser. Viele Menschen müssen in Deutschland mehr als einem drittel ihres Netto-Einkommens für Wohnkosten aufbringen – Tendenz steigend.
Die Angst der Polizeigewerkschaften vor Überstunden der Beamtinnen und Beamten darf in Bezug auf die Ausübung demokratischer Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger keine Rolle spielen.
Gewerkschafts-Chef warnt vor heißem Herbst: „Hessische Polizei ist an der Belastungsgrenze“
Jens Mohrherr, Vorsitzender der hessischen Polizeigewerkschaft, blickt mit Sorge auf Proteste wegen Energiekrise und Corona-Maßnahmen. Es fehlten 1000 Polizisten und Polizistinnen. (FR, 6.9.22)
https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/gewerkschafts-chef-hessische-polizei-ist-an-der-belastungsgrenze-91772025.html
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Zitat:
Ein Wesenselement der Demokratie
I
(recycled) Ein Zitat über „… ein Wesenselement der Demokratie:
es gibt keinen Widerstand ohne demokratisches Bewußtsein und keine demokratische Wirklichkeit ohne Bejahung von Recht und Pflicht zum Widerstand.
Die Geschichte des Widerstands ist die Geschichte der Demokratie, beide decken sich. Widerstand meint Kampf gegen staatliches Unrecht. Voraussetzung dafür ist, daß der Staat nicht höchster Wert ist, sondern daß Gesetzgebung Verwaltung und Rechtsprechung gewogen und möglicherweise zu leicht befunden werden können.
Maßstab ist der Mensch, der nicht um des Staates willen da ist. Der Staat ist um des Menschen willen da Widerstand ist undenkbar ohne einen Glauben an Menschenrechte die droben hangen: unveräußerlich und unzerbrechlich wie die Sterne selbst. Die Menschenrechte wurden im Hirn und Herzen der Menschen geboren und mit ihren Fäusten erkämpft. Deswegen schulden wir dem Widerstand ihre Idee und Wirklichkeit.“
(/Zitat von Fritz Bauer ,), das Vorwort in einer Broschur, Titel „Widerstand gegen die Staatsgewalt – Dokumente der Jahrtausende“ von 1965, Fischer Verlag.
II Widerstandsparagraph als Trostpflaster der Notstandsgesetze
(recycled) Aus dem Vorwort zur Broschur „Gefahr im Verzug“ von Jürgen Seifert, welches die erste zusammengefasste Darstellung der Auseinandersetzung um Entwürfe über ein Notstandsgesetz vor über fünfzig Jahren darstellt, vom damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer:
Der Entwurf für eine Notstandsverfassung sieht praktisch unlimitierte Einschränkungen einer Reihe von Menschenrechten vor, die nach dem, was auch im Grundgesetz steht, „unverletzlich und Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ sind. Nach der üblichen Auffassung sind die Menschenrechte weder durch das Grundgesetz geschaffen noch können sie selbst durch ein Grundgesetz aufgehoben werden. Kann die von der Bundesregierung vorgesehene Notstandsverfassung hiernach überhaupt Rechtsgültigkeit erlangen?
Die Menschenrechte werden hierzulande nicht wie ein Heiligtum gehütet und gehegt, sie sind vielen nicht die Substanz der Verfassung, das A und O, ohne die unser Staat zu existieren aufhört. Die Ausnahmen, Einschränkungen und Vorbehalte pflegen hier gerne zur Regel zu werden, da obrigkeitsstaatliches Denken nicht tot ist und durch das für Gegenwart und Zukunft kennzeichnende Wachstum der Bürokratie immer neue Nahrung erhält. Die – wenn auch zunächst theoretischen – Möglichkeiten einer Suspendierung der Grundrechte können das Denken und Handeln bestimmen; sie bestätigen vielen, allzu vielen, die an der Unverzichtbarkeit der Grundrecht deuteln, auf ihren Realismus stolz sind und an das Ethos einer Staatsräson glauben. In Notwehr gegen eine – wirkliche oder vermeintliche – Arglist und Gefahr bleibt – frei nach Schiller – auch das redliche Gemüt nicht wahr. Die Bundesrepublik sollte, sofern und Recht und Freiheit mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis ist, und solange eine wirklich zwingende Not nicht besteht, darauf verzichten, nach Eichhörnchenart Grundgesetzartikel auf Vorrat zu sammeln, deren Gefährlichkeit kaum bestreitbar ist.
Trotz der Karte der Notstandsgesetze, gezinkt da ein Ermächtigungsgesetz, die seit fast fünfzig Jahren in unserem demokratischen Kartendeck spukt, oder gerade weil ebendieser Karte, die der eigentliche Grund dafür scheint, dass der deutsche Staatsbürger ein Grundrecht auf Widerstand – nämlich Ungehorsam – sein eigen nennen dar – nicht weil das in Artikel Zwanzig Absatz Vier Einzug gefunden hätte, sondern weil dieses undividuele Grundrecht auf Widerstand seit nunmehr siebzig Jahren in Artikel Eins Absatz Ein seinen einzigartigen Ausdruck findet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Alles drin. Was wird jetzt nun der Artikel 20 Absatz 4 zur Aufrechterhaltung einer sozialen Demokratie nützen, wenn den Grundrechtträgern der Widerspruch von Soll und Haben an ihren Grundrechten gleichgültig erscheint?
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