Andreas Urban & F. Alexander von Uhnrast
Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen Nervenzusammenbruchs
Dieser Beitrag versammelt einige Überlegungen zur Corona-Krise, die im Rahmen diverser Diskussionen in wert-abspaltungskritischen Kreisen über die Pandemie und die Wirksamkeit wie Verhältnismäßigkeit der politischen Maßnahmen, deren Begründungen und die Art und Weise ihrer Durchsetzung entwickelt wurden. Im Zentrum steht die These, dass die Pandemie und insbesondere die gesellschaftliche Reaktion darauf in den Kontext der finalen Krise des warenproduzierenden Systems und einer damit verbundenen fortschreitenden „Verwilderung“ der Gesellschaft einzuordnen sind. Diese Verwilderung beschränkt sich nicht nur auf Corona (angeblich) verharmlosende und bagatellisierende Einstellungen sowie „verschwörungstheoretische“ Tendenzen im Umfeld von Maßnahmenkritikern und sogenannten „Coronaleugnern“, wie sie auch in wert-abspaltungskritischen Kontexten primär ins Visier genommen werden[1], sondern umfasst, wie wir argumentieren möchten, auch und gerade die allgemeine politische und gesamtgesellschaftliche Reaktion auf die Ausbreitung von SARS-CoV-2 und die Anstrengungen zu ihrer Bekämpfung.
Auch wenn die Faktenlage umstritten, schwer überschaubar und teilweise widersprüchlich, die Datenqualität darüber hinaus zum Teil sehr mangelhaft ist, liegt inzwischen eine Fülle an Material vor, das den Schluss nahelegt, dass zahlreiche schwerwiegende und historisch einzigartige Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung (z.B. Lockdowns) zur Bekämpfung eines für bestimmte Bevölkerungsgruppen zwar durchaus gefährlichen, epidemiologisch und mit Blick auf die gesamte Bevölkerung jedoch eher mäßig bedrohlichen Virus zur Anwendung gebracht wurden, dessen Sterblichkeit in den meisten westlichen Staaten in der Größenordnung mittelschwerer Grippewellen liegt. Gerade für den Schutz „vulnerabler Gruppen“ (vor allem alte und hochbetagte Menschen mit Vorerkrankungen) erwiesen sich die ergriffenen Maßnahmen darüber hinaus als wenig effektiv – abzulesen etwa am hohen Anteil von Pflegeheimbewohner/innen an den Corona-Toten, der in den meisten westlichen Ländern zwischen 30 und 60 Prozent liegt.[2] Nicht selten kamen diese gerade durch die ergriffenen Maßnahmen selbst zu Schaden (z.B. durch Einsamkeit infolge sozialer Isolation oder durch eklatante Pflegemängel, u.a. durch den quarantänebedingten Ausfall von – oftmals gesundem und arbeitsfähigem – Pflegepersonal). Diese Faktenlage steht in eklatantem Widerspruch zu den offiziell von Regierungen kolportierten Zahlen und der darauf beruhenden politischen und medialen Kommunikation. Letztere baut im Grunde seit Beginn der Pandemie das Horrorszenario einer menschheitsbedrohenden Seuche auf und instrumentalisiert die auf diese Weise geschürte und durch einen medialen Propagandaapparat zusätzlich befeuerte „Corona-Angst“[3] für die weitreichendsten Grundrechts- und Freiheitseinschränkungen seit dem Zweiten Weltkrieg. All dies kulminiert mittlerweile in einer globalen Impfkampagne, die in historisch beispielloser Geschwindigkeit auf den Weg gebracht wurde, und selbst die Hersteller der Impfstoffe geben zu, dass deren Wirksamkeit und potentielle Langzeitschäden unbekannt seien.[4] Gleichwohl nehmen die Impfkampagnen, trotz zahlreicher, teils schwerer Impfnebenwirkungen, inzwischen die Form massiver Drangsalierung von Menschen an, die eine Impfung ablehnen oder dieser skeptisch gegenüberstehen – bis hin zum Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben („Grüner Pass“)[5] sowie indirekten und direkten Formen des Impfzwangs.[6]
Es stellt sich mithin die Frage, wie eine derartige Entwicklung zu erklären ist, wenn die Wahrnehmung der Bedrohungslage und die Wahl der dagegen ergriffenen Maßnahmen den Fakten und der tatsächlichen Gefährlichkeit des Coronavirus so offenkundig widersprechen. Wir möchten im Folgenden unsere These darlegen und begründen, dass auch dies – und nicht nur die in der wert-abspaltungskritischen Diskussion (zu Recht) problematisierten verschwörungsideologischen, sozialdarwinistischen und rechtsextremen Tendenzen – nur vor dem Hintergrund der weiter voranschreitenden finalen Kapitalismuskrise sowie daraus resultierenden gesellschaftlichen Verfalls- und Verwilderungsprozessen verstanden werden kann. Umfassende und tiefgreifende Krisenprozesse, wie sie der kapitalistischen Gesellschaft in ihrem Niedergang zu attestieren sind, haben nicht nur ökonomische (Wirtschafts- und Finanzkrisen, Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, kapitalistische Überakkumulation etc.) und ökologische (Klimawandel, Umweltzerstörung, Artensterben etc.), sondern auch sozialpsychologische Dimensionen. Generell tangieren solche Krisenprozesse auch historisch gewachsene Lebens-, Denk- und Sozialformen. In der Krise befinden sich also nicht nur ein abstraktes Gesellschaftsmodell oder „die Ökonomie“, sondern ganz konkrete Lebensformen, bis hinein in die Tiefenschichten moderner Subjektivität und darauf beruhender Lebens- und Identitätsentwürfe – quasi die bürgerliche Subjektform schlechthin. Corona trifft somit nicht nur auf eine Gesellschaft in der Krise, sondern dabei auch auf psychisch weitgehend destabilisierte und zu irrationalen Reaktionen neigende Subjekte. Dies drückt sich z.B. in zunehmenden Abstiegs- und Zukunftsängsten vor allem in den Mittelschichten aus, verbunden mit einem rasch voranschreitenden „Extremismus der Mitte“, der sich u.a. in rassistischen und antisemitischen Verarbeitungsformen, einer unverhüllt zu Tage tretenden Lust an der Disziplinierung von realen oder imaginierten Unterschichten und, zumal in Deutschland und Österreich, in einem um sich greifenden autoritären Konformismus Ausdruck verschafft.
Im Angesicht stetig zunehmender Krisentendenzen, so könnte man die zentrale These dieses Beitrags zusammenfassen, liegen die Nerven auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen inzwischen blank. Dies begünstigt Überreaktionen und irrationale Denk- und Verhaltensweisen. Hinzu kommt, dass infolge fortschreitender Erosionsprozesse auf institutioneller Ebene und einer postmodernen Verflachung des Denkens auch bei politischen Entscheidungsträgern und wissenschaftlichen „Experten“ in hohem Maße Inkompetenz und ein sukzessiver Abbau intellektueller Kapazitäten um sich greifen, oftmals vergesellschaftet mit ganz banalen Formen der Korruption. All dies bildet eine schwer zu durchschauende und widersprüchliche Gemengelage, die bewirkte, dass ein zunächst als unverhältnismäßige Reaktion auf ein grippeähnliches Atemwegsvirus beginnendes Pandemiemanagement eine unheilvolle Eigendynamik annehmen und eine Reihe von parasitären politökonomischen sowie sozialpsychologischen Sekundärprozessen auslösen konnte – Prozesse, die heute in einer drastischen Verschärfung der Krisendynamik und deren Verwaltung durch ein zunehmend autoritär und totalitär agierendes Geflecht von Staatsapparaten, NGOs und Massenmedien kulminieren.
Der vorliegende Beitrag ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teil wird auf die Faktenlage zur Pandemie im Hinblick auf die Eigenschaften des Coronavirus und damit auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der dagegen ergriffenen politischen Maßnahmen eingegangen. Wir können und werden uns hier auf einige wenige Aspekte beschränken, da es hierzu bereits sehr viel Material gibt, auf das weiterführend verwiesen werden kann.[7] Auch beschränken wir uns überwiegend auf die Lage in Deutschland und Österreich. Stützen werden wir uns primär auf offizielle Dokumente, etwa aus dem Robert Koch Institut (RKI), dem deutschen Gesundheitsministerium (BMG) oder von nationalen Statistikämtern.
Damit ist nicht etwa beabsichtigt, wie Herbert Böttcher kritisch gegenüber der gesellschaftlichen wie auch wert-abspaltungskritischen Corona-Debatte bemerkte, Menschenleben „in der Statistik“ und „hinter Zahlen“ verschwinden zu lassen und so Menschen „noch mehr auf Nummern [zu reduzieren] und zu Exemplaren [zu machen]“.[8] Eine derartige Statistik-Kritik ist zwar prinzipiell mehr als berechtigt und notwendig mit Blick auf die zweifelhafte Rolle von Zahlen und Statistik in warenproduzierenden Gesellschaften sowie die inhumane Kälte und die unbestreitbare Borniertheit modernen, quantifizierenden Denkens. Nicht zuletzt die Geschichte moderner Statistik[9] wie auch allgemein der mathematischen Naturwissenschaft und der mit ihr in die Welt kommenden Denkformen[10] in der Konstitutions- und Durchsetzungsphase des Kapitalismus machen Statistik in erster Linie zu einem Gegenstand radikaler Kritik und nicht zu einem neutralen Hilfsmittel, auf das man sich unkritisch verlassen kann. Böttchers Kritik wird aber falsch, wo mit ihr letztlich ein Tabu verhängt wird über die kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Produkten und Effekten statistischer Erzeugnisse. Gerade die Corona-Pandemie verdankt ihre konkrete Realität nicht zuletzt den Zahlen, mit welchen wir seit nunmehr fast zwei Jahren tagtäglich vor allem durch die Medien konfrontiert werden: x Neuinfektionen, y Todesfälle, eine 7-Tage-Inzidenz von z, eine Mortalitätsrate von xy, eine Impfquote von yz etc. Wir können daher gar nicht anders, als uns zu Zahlen und Statistiken zu verhalten, unabhängig davon, ob wir die Pandemie für das gefährliche Geschehen halten, als das sie von Politik und Medien gezeichnet wird, oder nicht. Kritikern der öffentlich verlautbarten Corona-Zahlen pauschal vorzuwerfen, sich unkritisch gegenüber der fragwürdigen Rolle von Statistik zu verhalten, ja womöglich sogar dem modernen Zahlenfetisch aufzusitzen[11], verfehlt das Problem und ist darüber hinaus unlauter, wenn man selbst zugleich die kolportierten Zahlen praktisch für bare Münze nimmt. Gerade die Pandemie liefert beeindruckendes Anschauungsmaterial für die Macht, die Zahlen und Statistiken über die moderne Menschheit haben, und vor allem für den Unfug, den man damit treiben, und die Katastrophen, die man damit heraufbeschwören kann. Es gibt unzählige Daten und Statistiken und in zunehmendem Maße auch wissenschaftliche Studien, die zu den öffentlich verlautbarten Corona-Zahlen und deren Einordnung in stärkstem Kontrast stehen. Sie stellen das offizielle Narrativ von Corona als einer „Jahrhundertseuche“ und den alternativlosen Modi ihrer Bekämpfung sehr in Frage. Auf einige dieser Daten wollen und müssen wir daher im Interesse einer adäquaten und möglichst realistischen Einschätzung der Pandemie im Folgenden eingehen. Auch und gerade aus der Perspektive einer kritischen Theorie führt an einer solchen Auseinandersetzung mit Zahlen und Statistiken kein Weg vorbei, wenn ein für kritische Theorie unabdingbarer realistischer Überblick über das gesellschaftliche Geschehen bei hinreichend kritischer Distanz zum gesellschaftlichen Getriebe gewährleistet sein soll.
Im zweiten Teil – und partiell auf der Grundlage der erörterten Faktenlage – werden in skizzenhafter Form und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Erklärungsansätze für die Corona-Krise sowie ihre konkrete Verlaufsform vor dem Hintergrund der finalen Krise entwickelt. Die in zehn Unterpunkte gegliederte Analyse bezieht sich dabei ausdrücklich auch (und primär) auf die gesamtgesellschaftliche Reaktion auf die Pandemie, und nicht nur auf jene von „Coronaskeptikern“.
Zu Teil 1: Auf der Suche nach dem „Killervirus“
https://wertkritik.org/beitraege/corona-als-krisensymptom-teil1
Teil 2: Pandemischer Nervenzusammenbruch
https://wertkritik.org/beitraege/corona-als-krisensymptom-teil-2