Vom Ende der Meinungsfreiheit in Europa

10. 08. 2022 | Mit dem Digital Services Act und dem „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ schafft die EU eine ausgeklügelte Infrastruktur zur umfassenden Zensur von Informationen und Meinungen – ausgelagert an private Konzerne. Was Gastautor Johannes Mosmann durch Analyse dieser Dokumente kühl und sachlich an totalitärer Kontrollambition der Regierenden herausarbeitet, erinnert an dunkle, vordemokratische Zeiten.

Johannes Mosmann.* Im Juni 2022 stimmte der EU-Binnenmarktausschuss der „Verordnung über digitale Dienste“ zu, die weitreichende Folgen für die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung hat. Unverblümt sprechen die EU-Funktionäre nun auch das zu Grunde liegende Weltbild aus: Unwahrheiten verhalten sich wie Viren, weshalb eine gute Regierung die Wahrheit ebenso pflegen muss wie die Volksgesundheit. Und zwar mit denselben Methoden: Verhinderung des Erstkontakts mit Unwahrheiten, Isolierung der infizierten Träger und perspektivisch sogar Impfungen gegen falsche Meinungen.

Verbotenes Denken

Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Versammlungsverbote, Maskenpflicht, Schulschließungen oder Impfkampagne zielten direkt auf die Eindämmung der Pandemie. Flankiert wurden diese durch Maßnahmen zur Durchsetzung „verlässlicher Informationen“ in den Medien und zur „Bekämpfung von Desinformation“, die sich in atemberaubender Geschwindigkeit die eigenen strukturellen Voraussetzungen verschafften, etwa durch die Einrichtung der „Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO)“ bereits im Juni 2020 (1) oder der erstmaligen Unterstellung aller „journalistisch-redaktionell gestalteten Angebote“ unter die staatliche Aufsicht gemäß des „Medienstaatsvertrags“ im November 2020. (2)

Mit Unterzeichnung des „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ verpflichteten sich die Digitalkonzerne, in „technologische Mittel zu investieren, um relevante, authentische und maßgebliche Informationen gegebenenfalls in der Suche, in Feeds oder anderen automatisch eingestuften Verbreitungskanälen zu priorisieren“ sowie „die Platzierung von Werbung auf Konten und Websites, die Desinformationsanbietern gehören, wirksam zu prüfen, zu kontrollieren und zu begrenzen.“ (3) Mit anderen Worten: ihre Suchalgorithmen zu manipulieren, Inhalte zu löschen und Webseiten, die „Falschbehauptungen“ veröffentlichten, Werbeeinnahmen zu entziehen. Darüber, wie sie Desinformation unschädlich machten und „verlässliche Informationen“ durchsetzten, mussten die Konzerne der EU-Kommission monatlich Bericht erstatten.

Die wenigsten Betroffenen dürften die finanziellen Mittel gehabt haben, sich dagegen gerichtlich zur Wehr zu setzen. Die Künstlergruppe #allesaufdentisch, darunter viele bekannte deutsche Schauspieler, versuchte es und klagte vor dem Landgericht Köln gegen die Löschung ihrer Videos. Das Gericht gab den Künstlern recht. (4) Google jedoch ging in Berufung und sperrte wenige Tage nach dem Urteil weitere Videos der Initiative. (5) Ob diese ihr Recht auf freie Meinungsäußerung letztendlich durchsetzen wird, dürfte den „öffentlich-privaten Partnerschaften“ egal sein – bis dahin ist ein Diskurs über Corona-Maßnahmen obsolet.

Im August 2021 erklärte Neal Mohan, Produktleiter von Youtube, dass die Google-Tochter bislang mehr als eine Million Videos mit Corona-Bezug gelöscht habe. (6) Effektiver noch als die Löschungen sei allerdings die Vorzugsbehandlung für „vertrauenswürdige Informationen“ gewesen. „Bei COVID verlassen wir uns auf den Expertenkonsens von Gesundheitsorganisationen wie der CDC und der WHO“, so Mohan. (7) Dasselbe machte Google mit den Trefferlisten der Suchmaschine. (8)

Unabhängig vom Sinn der Suchanfragen wurden „vertrauenswürdige Informationen“ von Regierungen oder regierungsnahen Institutionen im Ranking nach oben gedrückt, wohlwissend, dass alles, was nicht auf den ersten drei Seiten erscheint, kaum mehr einen Leser findet. In bislang nie da gewesenem Ausmaß kuratierte Google insbesondere die erste Seite seiner Trefferliste (9) und kooperierte hierbei mit der WHO und der Johns Hopkins Universität, aber auch mit Jens Spahn und dem Bundesgesundheitsministerium. (10)

Spiel mit Fakten

Direkte Anweisungen von Regierungsvertretern an Zeitungsverlage, Sendeanstalten oder Nachrichtenportale waren somit weitgehend überflüssig. Das naturgemäße Interesse am eigenen wirtschaftlichen Überleben zwang die Medienanbieter zur Verbreitung einer einzigen, monotonen Botschaft.

Eine wichtige Rolle spielen hierbei die „Faktenchecker“. Ihre deutschen Flaggschiffe wie Correctiv oder dpa-Faktencheck sind unter dem Dach des us-amerikanischen Poynter-Instituts organisiert (11) und werden u.a. von Facebook für die Identifizierung von „Falschbehauptungen“ bezahlt. (12)

Künftig sollen alle Wahrheitsprüfer in einem von der „Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien“ geführten Netzwerk zusammenarbeiten und von den Digitalkonzernen einen Pflichtbeitrag erhalten. (13) „Faktenchecks“ sind somit keineswegs rein informativ, sondern beeinflussen als Dienstleister für die Digitalkonzerne, welche Meinungen sichtbar werden und sich verbreiten können.

Zugleich wirken sie ihrerseits meinungsbildend, indem sie auf die zu überprüfenden Behauptungen oftmals nur scheinbar eingehen, während sie selbst neue in die Welt setzen. Ein Beispiel hierzu aus dem unverdächtigen Bayrischen Rundfunk: Der „#Faktenfuchs“ beantwortet die Frage, ob in Deutschland zensiert werde, damit, dass Zensur laut Grundgesetz verboten sei. Der befragte „Experte“ fügt hinzu: Wenn jemand nicht sagen dürfe, was er wolle, sei das noch keine Zensur. Im weiteren Verlauf philosophiert der vermeintliche „Faktencheck“ dann über „Grenzen der Meinungsfreiheit“, um Deutschland schließlich eine Spitzenposition in Sachen Meinungsfreiheit zu bescheinigen.

Die wichtigste Botschaft steckt jedoch in den fett gedruckten einleitenden Worten: „Die AfD und andere Akteure äußern immer wieder den Vorwurf, dass in Deutschland zensiert wird. Wer sich regierungskritisch äußere, dessen Inhalte würden gelöscht.“ (14) Der Leser erfährt also durch den „Faktencheck“ des Bayrischen Rundfunks, dass die Meinung, in Deutschland werde zensiert, von Rechtsaußen kommt, und daher auch, in welches Lager er selbst gehören würde, wenn er sie teilen würde.

Tatsächlich glaubt jedoch laut einer Allensbach-Umfrage über die Hälfte der Deutschen, dass man seine Meinung nicht mehr frei äußern könne. (15) Rudolf Thiemann, Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, findet gar, die Kooperation des Gesundheitsministeriums mit Google sei ein „einmaliger und neuartiger Angriff auf die Pressefreiheit“. (16)

Noch deutlicher wird der Kommunikationswissenschaftler Dr. Prof. Michael Meyen von der Ludwig-Maximilians-Universität München im linksliberalen ‚Der Freitag‘:

„Der Staat greift nach dem Internet – und die Öffentlichkeit schaut weg … Der Staat hat Zensurbehörden installiert und dafür auf der großen Bühne sogar Beifall bekommen … Meinungs- und Medienfreiheit waren gestern. Heute bestimmt die Politik, was öffentlich gesagt werden darf.“ (17)

Weder die Mehrheit der Deutschen, noch VDZ-Präsident Thiemann oder Professor Meyen stehen der AfD nahe. Dennoch sagt der #Faktenfuchs nicht die Unwahrheit. Er wählt nur die Fragestellung so aus, dass mit dem „Faktencheck“ zugleich ein ganzes Meinungsspektrum diffamiert werden kann.

Ähnlich geht auch Correctiv vor. „Gefangener mit Hakenkreuz-Tattoos: Foto stammt nicht aus der Ukraine, sondern von 2005 aus Belarus“ titelte die Faktencheck-Organisation am 1. Juli 2022. (18) Diese Richtigstellung ist sicherlich korrekt. Correctiv fährt jedoch fort: „Das Foto wird als vermeintlicher Beleg für Neonazis in der Ukraine herangezogen – ein Narrativ, mit dem der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg rechtfertigt.“

Das geprüfte Faktum repräsentiert also ein „Narrativ“, das mit seiner Richtigstellung scheinbar widerlegt und zur „Desinformation“ wird. Tatsächlich gibt es jedoch keinen Zweifel daran, dass auf ukrainischer Seite auch Neonazis kämpfen – ganz gleich, wo jenes Foto aufgenommen sein mag.

Wer hat die bessere Propagandamaschine?

Wer mit Michael Meyen meint, in Deutschland werde zensiert, lebt gefährlich. Der Kommunikationswissenschaftler berichtet über die Folgen seiner Äußerungen: „Ich soll nach dem Prinzip Kontaktschuld mundtot gemacht und möglicherweise sogar aus der Universität entfernt werden.“ (19) Kein Wunder – schließlich gilt auch diese Meinung als „Desinformation“. Die Logik dahinter: Wenn Konzerne zensieren, heißt das nicht „Zensur“, denn die geht immer vom Staat aus. Die Bundeszentrale für politische Bildung erläutert (Freudscher (?) Fehler im Original):

„Die Freiheit der Presse und der Berichterstattung vor staatlichen Eingriffen werden durch das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG verboten. Gemeint ist damit eine Vorkontrolle von Veröffentlichungen durch staatliche Behörden. Zulässig sind aber freiwillige Selbstkontrollen …“ (20)

Diese Definition geht völlig an der Lebenswirklichkeit einer digitalisierten Gesellschaft vorbei. Wer heute zensieren will, quält sich nicht mit einer bürokratische „Vorkontrolle von Veröffentlichungen“, wie das in faschistischen oder sozialistischen Systemen funktioniert haben mag. Vielmehr spricht er von einer „freiwilligen Selbstregulierung“ derjenigen Konzerne, welche die Infrastruktur der Meinungsbildung und -äußerung dominieren.

Dass dabei die Grenzen zwischen Staat und Privatwirtschaft verwischen, liegt in der Natur der Sache. Trotzdem kann auch der Begriff der „freiwilligen Selbstregulierung“ längst nicht mehr verbergen, dass es sich hierbei tatsächlich um eine staatliche Regulierung, und somit auch nach „offizieller“ Lesart um Zensur handelt.
Der „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ wurde bereits 2018 verabschiedet und zielte ursprünglich auf die Eindämmung vermeintlicher russischer oder russlandfreundlicher „Propaganda“ vor dem Hintergrund der Krim-Krise und der angeblichen Unterstützung für Donald Trump durch Wladimir Putin. (21)

Die Pandemie diente laut EU-Kommission dann als „Stresstest“ für den Kodex und sollte genutzt werden, um diesen zu bewerten und zu verbessern. Im Juni 2020 erklärte die EU-Vizepräsidentin Věra Jourová:

„Die COVID-19-Pandemie ist nur eine Erinnerung an das riesige Problem der Fehlinformationen, Desinformationen und Falschinformation … die Arbeit ist noch nicht getan. Ganz im Gegenteil. Die Krise hat uns erneut gezeigt, dass auch andere staatliche Akteure über mächtige Propagandamaschinen verfügen. Ich erinnere mich, dass ich schockiert war, als ich eine Meinungsumfrage in Italien sah, die zeigte, dass die Italiener China viel mehr als Freund und Deutschland als Feind betrachteten … Es ist höchste Zeit, dies zu verbessern und nicht zuzulassen, dass andere – wie China – den Raum besetzen.“ (22)

Im Juli 2020 gab die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen dann bekannt, dass ihrer Behörde „aufbauend auf den Maßnahmen“ zur „Bekämpfung von Desinformation zu COVID-19“ zukünftig viel weitreichendere Möglichkeiten zur „Bewältigung von Desinformation“ verschafft werden sollten. (23)

Im Rahmen eines „Aktionsplans für Demokratie“ sollten zunächst die Erfahrungen mit den oben skizzierten Methoden zur Erlangung der Meinungshoheit über das Virus ausgewertet werden, um dann in ein „Gesetzespaket über digitale Dienste“ einzufließen. Der „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ sollte verschärft und in die geplante Neufassung des „Digital Service Act“, eingebunden werden. Zugleich sollte dieser die Grundlage für die Errichtung einer Infrastruktur zur permanenten Überwachung, Kontrolle und Moderation der Medienlandschaft bieten. Ein Jahr später, 2021, „unterrichtete“ die EU-Kommission den deutschen Bundesrat über ihre bisherigen Erfolge und ihre weiteren Pläne. (24) Anerkennend stellte sie zunächst fest:

„Im Rahmen des Überwachungsprogramms wurde nicht nur ein detaillierter Überblick über die Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation rund um COVID-19 auf der Grundlage der Verpflichtungen des Kodex gewonnen, sondern der Kodex wurde ferner einem ‚Stresstest‘ unterzogen.“

Dieser habe insbesondere die Wirksamkeit der Maßnahmen zur „Erhöhung der Sichtbarkeit von zuverlässigen Quellen“ und zur „Beseitigung von Inhalten, die falsche oder irreführende Informationen enthalten und dadurch körperliche Schäden verursachen oder die Wirksamkeit der öffentlichen Gesundheitspolitik beeinträchtigen können …“ bewiesen. (25)

Allerdings bemängelte die EU-Kommission auch eine Reihe von Unzulänglichkeiten. Der Begriff „Desinformation“ werde oft noch zu eng gefasst. Es käme nicht darauf an, ob bewusst Falsches behauptet werde, sondern darauf, dass Fehlinformationen einen „erheblichen öffentlichen Schaden anrichten können, wenn sie viral werden.“ Auch seien die von den Digitalkonzernen gelieferten Daten noch nicht „detailliert genug, um das Ausmaß der Umsetzung von Verpflichtungen oder die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen zu messen.“

Deshalb könne man nicht sicher sein, ob die „gemeldeten Maßnahmen“ wirklich flächendeckend „in allen Mitgliedstaaten bzw. in allen EU-Sprachen umgesetzt wurden“. Außerdem fehle noch ein „zentrales Verzeichnis für Faktenprüfungen“, sodass gegenwärtig noch Informationen, die von „Faktenprüfern als falsch eingestuft wurden, auf verschiedenen Plattformen wieder auftauchen“ können. Und der Entzug von Werbeeinnahmen habe sich zwar als wirksame Waffe erwiesen, sei aber noch nicht ausreichend, um Verbreiter von „Desinformationen“ jeglicher Einnahmen zu berauben.

Medienkompetenz als betreutes Denken

Künftig sollten alle Faktenchecker mit der „Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien zusammenarbeiten“. Damit Internet-Nutzer nicht Google & Co. umgehen und auf alternative Suchmaschinen ausweichen können, sei eine „breitere Beteiligung“ auch kleinerer Dienste anzustreben. Um Webseiten, die absichtlich oder unabsichtlich Artikel mit Falschbehauptungen veröffentlichen, vollständig zu „demonetarisieren“, also von Geldquellen abzuschneiden, müssten nun auch „elektronische Zahlungsdienste, E-Commerce-Plattformen“ und „Crowdfunding-/ Spendensysteme“ einbezogen werden. Außerdem fordert die EU-Kommission vollen Zugriff auf „personenbezogene Daten“ der Leser solcher Artikel (also beispielsweise des vorliegenden), um deren Verhalten zu studieren und „angemessene“ Gegenmaßnahmen entwickeln zu können. (26)

Genau ein weiteres Jahr später, nämlich am 16. Juni 2022, wurde der „Verschärfte Verhaltenskodex gegen Desinformation“ verabschiedet und von Google, Microsoft, Avaaz und vielen weiteren Digitalkonzernen unterzeichnet. (27)…..

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