Mattias Desmet: Massenbildung und der Aufstieg des technokratischen Totalitarismus
Was ist der Unterschied zwischen einem totalitären Staat und einer klassischen Diktatur? Der belgische Psychologe Mattias Desmet erklärt es im Interview.
Warum hielten es große Teile der Bevölkerung plötzlich für eine gute Idee, Mund-Nasen-Schutz für Kleinkinder zu kaufen oder Angehörigen den Besuch ihrer sterbenden Liebsten zu verbieten?
Epoch TV sprach mit Mattias Desmet, Professor für klinische Psychologie in Belgien und Autor von „The Psychology of Totalitarianism“. Er gehört zu den führenden Fachleuten für „Massenbildung“, zu der es seiner Meinung nach kommen kann, wenn die Menschen voneinander isoliert sind und unbegründete Angst vorherrscht.
Professor Desmet, Ihr neues Buch haben Sie vor dem Hintergrund der Coronavirus-Politik geschrieben – oder wie Sie es nennen, der „Coronavirus-Manie“ –, aber Sie haben bereits lange vor COVID über diese Dinge nachgedacht.
Richtig. Ich habe 2017 damit begonnen, möglicherweise bereits davor. Damals fiel mir auf, dass sich in unserer Gesellschaft langsam eine neue Form des Totalitarismus breitmacht. Kein faschistischer oder kommunistischer Totalitarismus, sondern eine Art technokratischer Totalitarismus. Wir entwickeln uns hin zu einer Gesellschaft, in der wir uns mehr und mehr auf technologische Kontrolle verlassen, um angstbehaftete Themen wie Terrorismus und Klimawandel in den Griff zu bekommen. Weite Teile der Bevölkerung und viele Gesellschaftsführer scheinen überzeugt zu sein, man könne all die Probleme in unserer Gesellschaft, real oder eingebildet, nur durch eine technische Kontrolle, die auch den Privatbereich umfasst, in den Griff bekommen.
Was brachte Sie dazu, über diese Dinge nachzudenken?
Im Rahmen meiner Forschungsarbeit entwickelte ich ein Interesse an all den Arten fehlerhafter Information, die innerhalb der Gesellschaft kursieren. Ob nun vorsätzlich oder unabsichtlich falsch, haben sie doch in jedem Fall enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Mich fasziniert auch, dass die meisten Menschen an Narrative und Informationen glauben, die in vielerlei Hinsicht völlig absurd sind. Sie sind nicht imstande zu erkennen, dass diese Dinge nicht wahr sein können.
Das weckte mein Interesse am Phänomen der Massenbildung. Nur sie erklärt, warum Menschen weiter an offenkundig falsche Narrative glauben können, die ihren eigenen Interessen stark zuwiderlaufen. Sie erklärt, warum Menschen so fanatisch an ein Narrativ glauben, dass sie radikal intolerant auf abweichende Stimmen reagieren. Diese Menschen stigmatisieren andere, die sich nicht auf dieses Narrativ einlassen, sie versuchen sie zu zerstören und erklären dies zu ihrer moralischen Pflicht.
Das ist das Phänomen der Massenbildung. Wer darin gefangen ist, ist radikal blind für die absurden Eigenschaften dessen, woran die Gruppe glaubt. Alles, was einem einst wichtig war, ist man nun zu opfern bereit, und man reagiert mit radikaler Intoleranz auf abweichende Stimmen.
Es ist genau diese Form der Massenbildung, die zum Entstehen totalitärer Staaten führt. Zu Beginn der Corona-Krise erkannte ich, dass exakt dies in unserer Gesellschaft vor sich ging. Mir fiel auf, was für absurde Statistiken in unserer Gesellschaft kursierten. Jeder schien von statistischen Informationen gefangen, die meiner Beobachtung nach radikal falsch waren.
Mir fiel auf, dass die Gesellschaft völlig taub für sämtliche Gegenargumente zu sein schien und für alles, was verdeutlicht hätte, dass ihr Narrativ falsch war. Die Mehrheit der Bevölkerung stigmatisierte alle, die nicht an das Narrativ glaubten, und man war bereit, einen großen Teil der Bevölkerung von der Öffentlichkeit auszuschließen, wenn sie die vorherrschende Ideologie nicht befolgte.
Alles, woran ich in den vergangenen Jahren geforscht hatte, war nun im öffentlichen Raum zu beobachten. Ich beschloss, mich zu Wort zu melden, Meinungsbeiträge dazu zu verfassen und mein Buch „The Psychology of Totalitarianism“ zu schreiben. Ich versuche zu erklären, wie dieses Phänomen der Massenbildung funktioniert, wie es in den vergangenen Jahrhunderten stärker geworden ist und wie wir dafür sorgen können, dass es nicht die Mehrheit der Bevölkerung zerstört. Typisch für Massenbildung ist nämlich die radikale Selbstzerstörung…..
mehr dazu: